mercator matinéen 2015

Umschlag_matinee15verkürzt

Falls Gott die Welt geschaffen hat, war seine Hauptsorge sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können.“ (Albert Einstein)

Das Wissen und der Glaube

 

1,26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land.

1,27 Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.

Man kann davon ausgehen, dass Gerhard Mercator keine Zweifel an der biblischen Schöpfungsgeschichte hegte. Als tiefgläubiger Mensch plante er – ausgehend von der Schöpfungsgeschichte – eine Beschreibung des Kosmos (*), wobei er dem griechischen Begriff gemäß alles Geschaffene als Einheit von Ordnung und Schönheit auffasste. Ein Unterfangen, das noch Alexander von Humboldt in seinem Lebenswerk in Angriff nehmen wollte. Wer sich heute mit Gerhard Mercator und seinem Zeitalter beschäftigt, kommt nicht umhin, sich auch „letzte“ Fragen zu stellen, die in der Philosophie ontologisch genannt werden, also auch die Frage, ob dem Kosmos etwas zugrunde liegt, das Stephen Hawking als „den großen Entwurf“ umschreibt oder „Der Spiegel“ „das unsterbliche Gerücht“ nennt. Als Mercator den Magnetpol vom Himmel auf die Erde verlegte, geriet seine wissenschaftliche Erkenntnis in Widerspruch zu den Dogmen der Kirche. Er wurde von Inquisitoren der „luttherey“ bezichtigt und kurzzeitig inhaftiert. Mercators Leben und Wirken ist ein Beispiel für das Dilemma von Forschungsdrang und Bibelglaube, das den Aufbruch zur Moderne kennzeichnet, in einem erodierenden Prozess zum Verlust der kirchlichen Deutungshoheit führte und in der Aufklärung schließlich im Kantschen Postulat „sapere aude!“ – „wage zu denken!“ gipfelte. Es war dann dem studierten Theologen Charles Darwin vorbehalten, eine zweite Revolution des christlichen Weltbildes in Gang zu setzten, als er darauf, beharrte, seine Theorie der Entwicklung der Arten nicht theologisch, sondern naturwissenschaftlich zu begründen. Mehr als 500 Jahre nach Mercator ist die Freiheit des Denkens und die Freiheit der Wissenschaft weltweit keine Selbstverständlichkeit und wird durch religiösen Fanatismus und religiös motivierte Gewalt bedroht.

Auch in unserer säkularisierten Gesellschaft, in der die früheren engen Bindungen an die Religion gelöst und das gesellschaftliche Leben zunehmend auf Basis menschlicher Vernunft begründet wurde, gilt es, die Errungenschaften des Humanismus und der Aufklärung ständig vor Gefährdung zu schützen.

Im Spannungsverhältnis von Wissen und Glauben kann man vermuten, dass der Kosmologe Gerhard Mercator dem Kosmologen Albert Einstein zugestimmt hätte: „Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind.“

Wilfried Schaus-Sahm (Konzept und Programm) (Mercator Gesellschaft Duisburg)

M-Matineen-Heft 2015